Neue Pflichten für Agenturen und Freelancer
Schon beim bestehenden Regelwerk, wie man erlaubt als „Bezahlschreiber“ mitmachen kann, sind viele gescheitert. Jetzt gibt es eine neue Regelung, die sicherlich noch für Kopfschmerzen sorgen wird.
Am 1. Juni 2023 hat die Wikimedia Foundation als Betreiber der Wiki-Projekte (von denen Wikipedia wohl das bekannteste, aber eben nur eines von vielen ist) die Terms of Use in der deutschsprachigen Fassung aktualisiert. Wie erwartet, ist der neue Passus für Marketing- und PR-Profis unter Punkt 4 „Unterlassen bestimmter Handlungen“ zu finden. In der originalsprachlichen Einfügung lautet er:
In addition, if you make a public posting off the Projects advertising editing services on Wikipedia in exchange for compensation of any kind, you must disclose all Wikipedia accounts you have used or will use for this service in the public posting on the third-party service.
Die Übersetzung erfolgte am 10. Juni morgens durch Benutzer Ameisenigel. Auf deutsch lautet die neue Passage:
Zusätzlich musst du, wenn du außerhalb der Projekte öffentlich Bearbeitungsdienste für Wikipedia im Austausch gegen irgendeine Kompensation bewirbst, alle Wikipedia-Konten, die du für diesen Dienst genutzt hast oder nutzen wirst, in diesem öffentlichen Beitrag bei dem Drittanbieter offenlegen.
Anderthalb Tage später hat Ameisenigel auf der Meta-Seite „WikiProjekt Umgang mit bezahltem Schreiben/Information“ eine Teilaktualisierung vorgenommen. Konkret hat er die grundlegende Aussage des Abschnitts „Was heißt bezahltes Schreiben offenlegen?“ angepasst:
Du musst jeden einzelnen Arbeitgeber, Kunden, beabsichtigten Begünstigten und deine Zugehörigkeit in Bezug auf alle Beiträge, für die du eine Vergütung erhältst oder erwartest, offenlegen. Du musst diese Offenlegung auf mindestens eine der folgenden Arten vornehmen:
- eine Erklärung auf deiner Nutzerseite,
- eine Erklärung auf der Diskussionsseite, die bezahlte Beiträge begleitet, oder
- eine Erklärung in der Bearbeitungszusammenfassung, die bezahlte Beiträge begleitet.
Was er dabei nicht gemacht hat und auch keiner der anderen Benutzer, die sich im Projekt UmbS (Umgang mit bezahltem Schreiben) engagieren: die Transparenzpflicht „außerhalb der Projekte“ einzubauen. Über die Gründe kann ich jetzt nur spekulieren, zielführend wäre das wahrscheinlich nicht.
Was bedeutet die zusätzliche Transparenzpflicht in der Praxis?
An dieser Stelle gilt die typische Antwort von Juristen: „Es kommt darauf an.“
Der erste Punkt, auf den es ankommt: Die Informationsseiten des Projektes UmbS sind nur freundlich gemeinte Hinweise. Sobald der erste Streitfall wegen einer Agentur oder eines Freelancers auftaucht, der extern nicht der Transparenzpflicht nachgekommen ist, werden die Administratoren sich auf die verpflichtenden Nutzungsbedingungen beziehen – insofern ist das einzig relevante Quelle.
Der zweite Punkt, auf den es ankommt: Wird stärker der erste Teil der neuen Pflicht gewertet (allgemein außerhalb der Projekte) oder der hintere Teil (ein öffentlicher Beitrag bei einem Drittanbieter)? Der Unterschied ist schon wesentlich, weil die Werbung auf der eigenen Website bereits „außerhalb der Projekte“ stattfindet, während sich „Drittanbieter“ im Wortsinn „nur“ auf andere Seiten bezieht – beispielsweise Projektbörsen, Plattformen und Marktplätze. Ich neige zur Auslegung des ganzen Satzes – eigene Websites also nicht gemeint sind. Da die Nutzungsbedingungen aber von der heterogenen Community der Freiwilligen (hier: den Administratoren) ausgelegt werden, kann in der Praxis die strengere Interpretation erfolgen.
Der dritte Punkt, auf den es ankommt: Hat die Wikimedia Foundation als Betreiberin der Wiki-Projekte wirklich die Macht, das Verhalten ihrer (angemeldeten) Benutzer so zu regeln, dass sie sich auch auf Seiten außerhalb der eigenen Verfügungsgewalt den Nutzungsbedingungen unterwerfen?
Was sind die möglichen Folgen?
An dieser Stelle wird es noch spannender, denn wenn Administratoren die enge Auslegung vornehmen und aufgrund fehlender Transparenz Benutzersperren aussprechen, müssen sich „Marketingunternehmen“ gemäß Punkt 14 der Nutzungsbedingungen der Schlichtung unterwerfen. Bezüglich der Reisekosten findet die Schlichtung im besten Fall online statt, im schlechtesten Fall in San Francisco. Die mit einer Schlichtung verbundenen Kosten muss man erst einmal auf sich nehmen wollen. Wer den Rechtsweg beschreiten will, muss übrigens auch in die Vereinigten Staaten – und zwar vor ein „Staats- oder Bundesgericht im San Francisco County, Kalifornien“. Der hiesige Verein Wikimedia Deutschland hat keine rechtliche Verantwortung für Wikipedia & Co., sondern dient nur zur Förderung.
Darüber hinaus enthält die Schlichtung noch ein anderes Schmankerl, welches „Marketingunternehmen“ vielleicht Abstand nehmen lässt. Man muss komplett blank ziehen:
Du erklärst dich damit einverstanden, im Rahmen einer Schlichtung für Marketingunternehmen mit der Foundation zu kooperieren, indem du alle in deinem Besitz befindlichen Unterlagen über deine nicht offengelegten Aktivitäten im Rahmen des bezahlten Schreibens, einschließlich der verwendeten Konten, der betroffenen Artikel und der Kunden, die solche Dienstleistungen erworben haben, rechtzeitig zur Verfügung stellst.
Fazit
In einer älten Diskussion hat ein Nutzer Ende August 2021 eine Aussage getroffen, die mir hier als Fazit für die aktuelle Rechtslage ebenfalls durch den Kopf gegangen ist:
Problematisch finde ich, dass professionelles Schreiben so kompliziert und unberechenbar gemacht wird, dass eine redliche, transparente und präzise dokumentierte Arbeitsweise zwar gefordert, aber nicht gefördert wird. Man muss entweder naiv oder echter ein Risikojunkie sein, um hier offen als PR-Agentur aufzutreten.