Ein Influencerin-Artikel als Agenturarbeit

Im Kern gibt es drei Arten Dienstleister für Wikipedia-Bearbeitungen, von denen eine mutmaßlich die größte ist. Ein aktuelles Praxisbeispiel, das aus dem Lehrbuch stammen kann.

Von den drei Arten besteht die mutmaßlich kleinste Gruppe aus Fachleuten, die a) Wikipedia beherrschen und b) als Dienstleister transparent agieren. Die sinistre Gruppe sind jene Agenturen, die a) voll professionell auftreten, aber b) das Regelwerk der Wikipedia missachten. Und die größte Gruppe dürften jene Agenturen sein, die a) ihr eigentliches Handwerk sicherlich verstehen, b) vom komplexen Zusammenspiel der formellen und informellen Regeln der Wikipedia keine Ahnung haben (siehe dazu bespielhaft hier im Blog den Artikel „Nicht möglich, den Spagat zu schaffen“).

Tatsächlich ist das heutige Beispiel eigentlich ein Fall für ein Lehrbuch, weil er so typisch ist.

Am 13. März wird das Benutzerkonto Texthochzwei angelegt, dessen Name identisch mit einer real existierenden Agentur ist. Elf Tage später wird das Konto auf seiner eigenen Diskussionsseite mit dem standardisierten Marketing-Baustein angesprochen. In der Folge wird ein Artikelentwurf zu einer Influencerin im eigenen Benutzernamensraum gelöscht – und das Wiki-Projekt: Umgang mit bezahltem Schreiben (UmbS) legte sich hier noch eine Notiz.

Kurz darauf wird am 24. März, also am selben Tag, ein neues Benutzerkonto angelegt, welches fünf Tage später den vom offensichtlichen Agenturkonto erstellten Entwurf zur Influencerin um 9.40 Uhr als Artikel selbst veröffentlicht. Mit Stichtag 29. März ist im Internet Archiv auch diese archivierte Fassung zu finden (übrigens mit Versionsgeschichte, wenn auch ohne die einzelnen Versionen).

Den aufmerksamen freiwilligen Autoren aus dem Projekt UmbS ist der Zusammenhang nicht entgangen. Von daher wurde im Projekt keine drei Stunden später ein entsprechender neuer Diskussionsstrang aufgemacht.

Das erste wichtige Ergebnis aus diesem Diskussionsstrang: Es wurde auf einer anderen Meta-Seite (also einer jenen Hintergrundebenen, von denen einfache Leser im Regelfall nichts mitbekommen) eine weitere Diskussion eröffnet – und zwar mittels Löschantrag. Dieser wurde nach Ablauf der geringstmöglichen Diskussionszeit von sieben Tagen auch administrativ entschieden. Nachzulesen ist die ganze, zwischenzeitlich launig bis spöttisch geführte Diskussion unter Wikipedia:Löschkandidaten/29. März 2023#Kaya Renz (gelöscht). Die Klammer verrät übrigens das Ergebnis der administrativen Entscheidung.

Was macht den Fall darüber hinaus prototypisch?

In aller Kürze: Es ist das Verhalten in der Löschdiskussion. Damit ist konkret gemeint, dass aus dem Nichts zwei neue Konten aufgetaucht sind, die am 29. und 31. März angelegt wurden und direkt den Weg in die Löschdiskussion gefunden haben. Das ist für echte neue Konten eher ungewöhnlich – und natürlich setzten sich die beiden Konten auch für den Artikel ein. Ebenfalls ein typisches Muster.

An dieser Stelle benutzt die Community der freiwilligen Autoren gerne mal (wenn auch nicht hier) den Begriff „Ententest“. Dieser steht für den Gedanken „Wenn es wie eine Ente aussieht, so schwimmt und quakt, ist es wahrscheinlich auch eine Ente“, was im übertragenen Sinn bedeutet, dass zusätzlich angelegte Agenturkonten ein typisches Verhaltensmuster haben.

Um eben dieses Muster auch zu verifizieren, wurde eine sogenannte Checkuser-Anfrage gestellt, an deren Ende 1) das Agenturkonto als primäres Konto, 2) das Ersatzkonto, das den Artikel angelegt hat, 3) ein rein für die Löschdiskussion angelegtes Konto und 4) ein im Antrag nicht genanntes Konto unbegrenzt gesperrt wurden. Vor allem der Zusammenhang zwischen 3 und 4 ist interessant: Schließlich editierte das Konto 4 im allerersten Entwurf, der nur im Benutzernamensraum des Agenturkontos bestand, teilte sich aber die IP-Adresse mit 3 – was ausreichend den Zusammenhang dokumentierte. Ein weiteres im Antrag genanntes Konto blieb vorläufig unbehelligt, weil es abweichend von den anderen Konten von einem Mobiltelefon betrieben wurde.

Welche Erkenntnisse lassen sich also für Unternehmen und PR-Agenturen aus diesem Fallbeispiel ziehen?

  1. Es gibt Nutzungsbedingungen. An die sollte man sich halten – spätestens nach Ansprache.
  2. Verschleiern funktioniert nicht. Irgendeiner in der Community hat immer ein waches Auge.
  3. Zusätzliche Konten bringen nichts, sondern machen die Sache meist nur schlimmer.